SKANDINAVIEN - HEIMAT DER WIKINGER
Nach der heutigen weit verbreiteten Vorstellung, verbinden die meisten Menschen mit dem Wort Wikinger ein kriegerisches, seefahrendes und raubeiniges Volk aus dem hohen Norden Europas. Wie viel davon ist Mythos und wie viel davon entspricht der Wahrheit. Wer waren die Wikinger wirklich, wie lebten sie und warum beschäftige ich mich überhaupt mit dieser Thematik als naturverbundener Mensch? Während meiner Skandinavien-Tour im September 2019 kam ich immer wieder in Kontakt mit der Geschichte dieser unfassbar spannenden Ära. Einige dieser eindrucksvollen Erlebnisse finden sich in diesem Beitrag wieder.
Kapitel 1
Wikinger - Krieger und Händler
Um das Thema Wikinger besser zu verstehen, muss man sich zunächst einmal von einigen Klischees befreien. Der Begriff Wikinger steht für kein Volk, sondern bedeutet aus dem altnordischen Wörtern "vikingr" und "vik" (Bucht/Handelsort) entliehen soviel wie Seekrieger oder Raubzug zu Wasser. An sich betraf das nur einen sehr kleinen Teil der skandinavischen Bevölkerung (ca. 5 Prozent!), die ab dem 8. Jahrhundert beginnend - also im Frühmittelalter - anfingen, mit Schiffen auf Raubzüge zu gehen. Die Plünderfahrten oder auf "viking" gehen war meist die einzige Möglichkeit für freie Männer zu ansehnlichem Reichtum oder Ruhm zu kommen. Die Wikinger selbst sahen sich eher als Danen, Götar, Svea und als Nordmänner, der später in dem Begriff Normanne wieder auftaucht. Sie betrieben aber nicht nur kriegerische Raubzüge, sondern vor allem erfolgreichen Handel mit anderen Völkern und gründeten Siedlungen. Die Nordmänner verschlug es nach England, Irland, Island, Frankreich und in unser heutiges Rheinland. Sie drangen sogar bei ihren Fahrten bis weit nach Asien und Arabien vor oder tauchten ab dem 9. Jahrhundert als Waräger im Kiewer Rus auf, ein Großfürstenreich im heutigen Russland, Ukraine und Weißrussland. Ein weiterer immer noch umhergeisternder Irrglaube ist, dass Wikinger Helme mit Hörnern trugen. Wenn überhaupt trugen die Nordmänner meist nur einfache Spangenhelme. Der einfache Krieger besaß in der Regel jedoch nicht einmal einen Helm und auch kein Schwert. Axt (Handöx und Skeggöx sowie die gefürchtete Dänenaxt "Breiðöx") oder Handspeer (lagvápn) sowie Wurfspeere (skotvápn) oder mitunter sogar einfache Keulen (kefli) bildeten die Hauptwaffen der Männer. Ob die Nordmänner, wie man sie in verschiedenen TV-Serien oft sehen sehen kann, tätowiert waren, ist eher fragwürdig. Zwar gibt es Beschreibungen aus der arabischen Welt von einem gewissen Ahmad ibn Fadlān, die darauf hindeuten, dass zumindest Angehörige des Rus-Volks (Rus hergeleitet aus dem altnordischen roðr = rudern) eine Art Körperbemalung trugen. Jedoch gibt es aus der Zeit keine Leichenfunde mit erhaltener Haut - wie z. B. bei "Ötzi" - die Anzeichen auf diesen Körperschmuck aufwiesen. Allerdings ist es wahrscheinlich, dass die Wikinger auf ihren Plünderfahrten in Berührung mit anderen Kulturen kamen, die tätowiert waren. Zum Beispiel mit den Kelten und Pikten in England. Was historisch gesichert ist; die Wikinger - Frauen und auch Männer - nutzten eine Art Eyeliner. Es ist als auch durchaus möglich, dass eben jenes Kosmetikum auch Verwendung fand, um temporäre Körperbemalungen (Zeichen und Symbole) aufzutragen, z. B. bei bestimmten rituellen Anlässen. Ein weiteres gern benutztes optisches Detail in den modernen Verfilmungen von Wikingersagas ist der Haarschmuck. Bei der Serie Vikings sind oft kunstvoll geflochtene Zöpfe und ausrasierte Seitenpartien bei den Männern zu beobachten. Auch mächtige Rauschebärte mit Zöpfen und Bartperlen sind oft zu sehen. Alles sieht natürlich toll aus, keine Frage, aber es entspricht keinesfalls der Realität. Bartperlen waren bei den Nordmännern unbekannt, obgleich das Tragen eines Bartes ein wichtiges Statusmerkmal in der Gesellschaft war. In der Regel trugen die Männer ihre Haare meistens lang, mit einem einem einfachen Haarknoten nach hinten im Nacken getragen. Frauen trugen traditionell die Haare stets lang und als Zopf gebunden. Die Haarpflege an sich war den Nordgermanen wichtig, wie es Funde von Kämmen und die Verwendung von einfachen seifenartigen Reinigungsmitteln zeigen.
Doch eins kann man über die Wikinger nach den Überlieferungen ziemlich sicher sagen. Sie verbreiteten in weiten Teilen des mittelalterlichen Europas aufgrund ihrer Überraschungsangriffe von See her Angst und Schrecken. Ihr Ruf eilte ihnen voraus und so wurde in allen Kirchen Englands ängstlich gebetet: "Beschütze uns, gütiger Herr, vor dem Zorn und der Raserei der Nordleute!" Aber nicht nur küstennahe Orte gerieten immer wieder ins Visier der Wikinger. Wie kaum ein anderes Volk, verfügten die Nordmänner hervorragende navigatorische Fähigkeiten und ihre Langschiffe waren für die damalige Zeit technisch einzigartige Gefährte. Damit konnten sie dank der hohen Geschwindigkeit von maximal 17 Knoten (31,5 km/h) große Distanzen auf dem Meer schnell überbrücken. Der geringe Tiefgang und die enorme Wendigkeit ihre Boote erlaubte auch einen nahezu uneingeschränkten Einsatz auf Flüssen. In Ihrer 300-jährigen Ära plünderten sie zahlreiche Städte und sie gingen dabei mit ihren Widersachern nicht gerade zimperlich um. Auf ihren Plünderfahrten quer durch Europa überfielen sie u. a. Dublin, Paris, Bonn, Köln, Trier und Xanten, um nur ein paar Städte zu nennen. Viele Städte versuchten mit Geldzahlungen sich vor den Repressalien der Nordmänner freizukaufen. Dies gelang allerdings nicht immer. Als Köln nicht mehr in der Lage war das Schutzgeld zu zahlen, brannten die Wikinger die Stadt nieder. Auch das damals noch beschauliche Hamburg (Hammaburg) fiel 845 n. Chr. dänischen Wikingern zum Opfer und wurde komplett den Erdboden gleich gemacht. Vermutlich als Racheakt auf ihrem Rückzug nach einer Niederlage gegen die Sachsen.
Kapitel 2
Überfall auf das Kloster Lindisfarne
Als Auftakt der Plünderungen steht heutzutage symbolträchtig der Wikingerüberfall auf das Inselkloster Lindisfarne im damaligen Königreich Northumbria am Samstag, 08. Juni 793. Für das an der Nordostküste Englands gelegene Kloster kam der Angriff völlig überraschend. Eigentlich war es nichts ungewöhnliches, dass gelegentlich auch Pilger und Händler das Kloster aufsuchten. Doch dieses Mal war es anders! Eine Horde norwegischer Wikinger landete mit ihren Schiffen an der Küste. Sie raubten alle Kostbarkeiten, brandschatzten und erschlugen einen Großteil der Mönche. Zurück blieb nur eine rauchende Ruine. Ein paar wenige der Bewohner nahmen die Nordmänner an Seilen gefesselt als nützliche Sklaven mit. Obwohl es bereits Handelsbeziehungen zwischen Angelsachsen und den Skandinaviern gab, kam es vier Jahre vor dem Überfall auf Lindisfarne, im Jahre 789, zu einen ersten protokollierten "Zwischenfall" mit Seefahrern aus dem hohen Norden. An der Küste von Portland im Königreich Wessex tauchten drei Langschiffe auf - vermutlich aus Hordaland/Norwegen - und wurden dort von einem abgesandten Vogt des Königs Beorhtric empfangen, den die Wikinger als Folge eines Missverständnisses töteten. Jedoch weiß man mittlerweile auch, dass es bereits ab dem Jahr 617 immer wieder kleinere Raubzüge der Wikinger auf Klöster gab, die aber nicht so eine herausragende Bedeutung hatten wie der Überfall auf das Kloster Lindisfarne. Aus den anfänglichen überfallähnlichen Raubzügen, entwickelten sich im Lauf der Jahre - besonders über die Sommermonate - regelrechte Plünderwallfahrten mit losen Stoßtrupps entlang der mitteleuropäischen Küsten. Ihre Taktik: Überraschend Anlanden, rasches Zuschlagen und schnell wieder Verschwinden bevor Gegenmaßnahmen ergriffen werden konnten. Die Wikinger nannten diese Taktik "Strandhögg". Über den Grund, warum die Wikinger ausgerechnet in dieser Zeit anfingen im Kommando-Stil Städte und von See her zu überfallen, gibt es
unterschiedliche Spekulationen. Eine These begründet es damit, das im Zuge einer Überbevölkerung in Skandinavien und Nahrungsknappheit dazu führten, dass sie woanders nach geeigneten Siedlungsmöglichkeiten suchten. Eine andere These ist (die ich persönlich für wahrscheinlicher halte), dass die Wikinger ganz gezielt besonders Klöster wie Lindisfarne und christliche Siedlungen für ihre Raubzüge ansteuerten. Das bedeutet, dass es quasi eine Art von Rache der heidnischen Kultur an das immer stärker werdende Christentum gewesen sein könnte. Kaiser Karl der Große (ca. 747 bis † 814) war berüchtigt für sein brutales Vorgehen gegen das Heidentum. Die Zerstörung heidnischer Kultstätten und besonders der sächsischen Irminsul in 772 oder zuvor schon durch die Fällung der von den Chatten verehrten germanischen Donareiche bei Geismar (in der Nähe von Fritzlar) durch Bonifatius im Herbst 723 könnten das nötige Öl im Feuer gewesen sein. Daher stellt sich aus heutiger Sicht um so mehr die Frage, ob dass Kloster in Lindisfarne tatsächlich nur durch reinen Zufall der Plünderung zum Opfer fiel? Denn das Kloster hatte für das christliche Northumbria ein hohen Stellenwert und deswegen reagierte man auch so bestürzt über den Raubzug der Heiden aus dem Norden. Fest steht jedoch, dass die Nordmänner genau wussten, welche großen Reichtümer sie dort vorfinden würden. Wäre die Motivation doch aus der Absicht neues Siedlungsgebiet zu finden, hätten die Wikinger vermutlich nicht auf diese martialische Weise, sondern eher ihr diplomatisches Geschick als Händler angewandt, um zum Ziel zu kommen. Ihre Strandhögg-Taktik - überraschend von See her anzugreifen und genauso schnell wieder zu verschwinden - war zumindest für diese Zeit eine völlig neuartige Form der Kriegskunst und deuteten wenig auf friedliche Absichten hin.
Kapitel 3
Das große Heidnische Heer
Um 865 soll eine Flotte dänischer Wikinger das "Große Heidnische Heer" mit rund 350 Schiffen vor der englischen Küste aufgetaucht sein und die Nordmänner verblieben im Land in festen Winterlagern. Unter den Anführern des heidnischen Heeres sollen Ivar der Knochenlose und Halvdan Kvitserk gewesen sein. Beides Söhne des legendären, aber auch kontrovers diskutierten Wikingeranführers Ragnar Lodbrok. Gemäß der Ragnar Lodbrok Saga wollten Ivar der Knochenlose und Kvitserk den Tod ihres Vaters am northumbrischen König Ælle rächen. König Ælle soll der Saga nach Ragnar in einer Grube mit Giftschlangen hingerichtet haben. Bis zum Jahr 874 bezwangen die Wikinger nach und nach die englischen Königreiche Northumbria, East Anglia und Mercia. Sie ließen sich in den eroberten Ländereien als Siedler nieder und das Gebiet wurde als sogenanntes Danelag bekannt. Bedenkt man, dass das große heidnische Heer nach neuesten Forschungen vermutlich nicht einmal 3.000 Krieger zählte, ist es verwunderlich, dass sie trotzdem so siegreich waren. Im Gegensatz zu den meist unerfahrenen englischen Soldaten, die zumeist aus der ländlichen Bevölkerung stammten, waren die Wikinger erfahrene Krieger. Zudem fürchteten die Nordmänner nicht den Tod. Ganz im Gegensatz zu ihren christlichen Widersachern sahen sie es als eine Ehre an im heldenhaften Kampf zu sterben, um später in Walhalla mit Odin und anderen tapferen gefallenen Kriegern zu tafeln. Das Danelag konnte sich noch für ein paar Jahre nach der Schlacht bei Brunanburh im Jahr 937 behaupten. König Æthelstan und sein Bruder Edmund siegten über die Armee vom Wikingerkönig Olaf Guthfrithsson, was den Niedergang des Danelags nach sich zog und den Rückzug der Nordmänner aus den südlichen angelsächsischen Gebieten. Spätestens mit dem Sieg der französischen Normannen mit Wilhelm dem Eroberer gegen das angelsächsische Heer 1066 in der Schlacht bei Hastings endete auch die Zweiteilung Englands in ein dänisch dominierten nördlichen Teil und ein angelsächsischen südlichen Teil. Obgleich die ethnischen Wurzeln der Normannen in Skandinavien zu finden sind, waren sie keine Wikinger. Vermutlich kam es später zu der Begriffsverwechslung durch die angelsächsische Gepflogenheit die Wikinger als "Northmen = Nordmänner" zu bezeichnen, was aber nicht das selbe bedeutet wie "Normans = Normannen".
Kapitel 4
Land und Leben der Wikinger
Das die Wikinger kein Volk waren, zeigt sich auch in der Begebenheit, dass es kein klassisches Königreich der Wikinger gab. Zwar gab es unter den dänischen, norwegischen und schwedischen Wikingern immer wieder auch mal kleinere Königreiche, aber in der Regel waren es regionale Stämme oder Sippen, die von einem Jarl (Häuptling) angeführt wurden. In Norwegen einte Harald I. Schönhaar (altnordisch: Haraldr hinn hárfagri) erstmals um 870 die meisten aller norwegischen Wikingerreiche zu einem Königreich. Anders als die norwegischen Wikinger, die unter anderem Island, Grönland (Grünland) und auch Nordamerika (Vinland) besiedelten, waren die dänischen Wikinger überwiegend an den Küstenregionen der Nord- und Ostsee aktiv. Besonders nachhaltig konnten sich die dänischen Wikinger im angelsächsischen England behaupten. Hingegen zu den anderen skandinavischen Wikinger-Clans, waren die schwedischen Wikinger eher am Handel interessiert. Sie reisten bis nach Konstantinopel und ließen sich auch als Siedler im heutigen Russland und in der Ukraine nieder. Von dort aus gelangten sie bis weit nach Asien hinein.
Die meisten Wikinger lebten als gewöhnliche Bauern, die mit Viehzucht und etwas Landwirtschaft ihren Lebensunterhalt verdienten. Tiere und Menschen lebten zusammen in den Häusern. Die Wikingergesellschaft fußte auf einem Dreiklassen-Kastensystem. An oberster Stelle stand der Adel, bestehend aus einem König oder einem Jarl. In der zweiten Schicht gab es die Freien (sogenannte Karls). Sie durften eine Waffe tragen sowie Land besitzen und hatten außerdem ein Stimmrecht im Thing (Volks- und Gerichtsversammlung). Nicht frei waren die Sklaven (altnordisch "þræll") oder auch unfreie Knechte genannt. Der Herr eines unfreien Knechts hatte Gewalt über dessen Leben und Tod. So war es auch nicht unüblich, dass Sklaven bei Bestattungen als Grabbeilage geopfert wurden. Der Preis für einen Sklaven richtete sich nach Alter und Geschlecht. Für eine schöne Frau als Sklavin musste ein Wikinger durchaus mehr zahlen, als für einen männlichen Sklaven. Daneben gab es aber auch Personen, die komplett herausgelöst aus diesem Kastensystem waren. Dazu gehörten mittellose Umherreisende, Seher und Völvas (weibliche Propheten, Zauberer und Schamanen). Die Völva ist in der altnordischen Mythologie stark verankert und das erste Lied in der Edda (literarische Werke über die nordischen Helden- und Göttersagas), die Völuspá, handelt von den Weissagungen einer Völva über die Entstehung der Welt, dem Urriesen Ymir und vom Weltende Ragnarök. Familienbünde und Sippschaften prägten sehr das gesellschaftliche Bild. Auch die Vermählungen zwischen Männer und Frauen wurde nicht Amors Zufall überlassen. Dies änderte sich erst im Zuge der Christianisierung. Nichtsdestotrotz genossen die Frauen ein hohes Ansehen bei den Wikingern. Sie waren die Herrinnen von Haus und Hof und auch erbberechtigt. Verstarb der Ehemann im Kampf, ging je nach Rang und Titel, auch diese Ehrerbietung auf die Ehefrauen über. Die Häusertypen waren je nach Region und vorhandenen Baumaterialien unterschiedlich. Von einfachen Blockhütten bis zu aufwendigeren Fachwerkkonstruktionen aus Balken mit Verfüllungen aus Flechtwerk oder Torf war alles möglich. In der Mitte der Häuser befand sich die zentrale Feuerstelle zum Kochen und um sie herum die einzelnen Schlafplätze. Als Nahrung diente eigentlich alles was die Wikinger selbst an Tieren besaßen. Hinzu kam frischer Fisch und Wild aus den Wäldern sowie Beeren, Hülsenfrüchte, Gemüse, Kohl, Nüsse und Getreide.
Lagerplatz einer Wikinger-Reenactment-Gruppe. Das schwedische Birka war der wichtigste Handelsplatz in Skandinavien
Kapitel 5
Die Schiffe der Wikinger
Bis heute zählen die Schiffe der Nordmänner zu den größten technischen Errungenschaften dieser Kulturepoche und für den Erfolg der Seefahrer aus Skandinavien. Sie waren außerordentlich schnell, wendig und zum Teil auch bedingt hochseetauglich. Aufgrund ihrer eleganten Bauweise eigneten sie sich je nach Schiffstyp als Kriegsschiff (Langschiff), als Handels- und Transportschiff (Knorr) oder als kleinere Boote für den Fischfang. Die Handelsschiffe nahmen Frachtmengen bis zu 26 Tonnen auf, was für diese Zeit enorm viel war! Aus historischen Funden zum Beispiel in dem Fjord von Roskilde/Dänemark, konnte man viele wichtige Erkenntnisse über die unterschiedlichen Schiffstypen der Wikinger herausfinden. Ihre Perfektion erreichten die nordischen Schiffsbauer nicht durch Zufall. Die Techniken zum Bootsbau entwickelten sich bereits über die Jahrhunderte hinweg noch vor der eigentlichen Wikingerzeit. Als Baumaterial dienten unterschiedliche Baumarten, wobei der Schwerpunkt der verwendeten Hölzer auf Eichenholz lag. Dennoch wurden auch Bootsteile aus Buche, Esche, Erle, Linde, Birke, Lärche und Kiefer gefertigt. Obwohl alle Schiffe ein Segel hatten, konnten sie aber bei Bedarf auch per Ruderantrieb ihre Fahrt fortführen. Alle Schiffstypen hatten stets das Steuerruder auf der rechten Seite, was sich bis heute in der Schiffssprache niederschlug. Denn die rechte Schiffsseite wird immer als Steuerbord bezeichnet. Ihr taktischer Vorteil lag aber ganz gewiss in der Geschwindigkeit. Tests mit Nachbauten eines mittleren Langschiffes mit einer deutlich kleineren modernen Segeljacht in einer Wettfahrt offenbarten die herausragende Leistung der Wikinger-Schiffsbaukunst auf eindrucksvolle Weise. Es zeigte sich, das bei Fahrten mit dem Wind, die über tausend Jahre alten Schiffe mit der modernen Segeljacht mithalten konnten. Was für eine Überraschung! Ihr Geheimnis lag in der Klinkerbauweise (überlappend). Ab einer bestimmten Geschwindigkeit füllten sich die Plankenübergänge mit Luft, was dazu führte, dass die Schiffe regelrecht auf dem Wasser gleiten konnten. In der Regel hatten die Langschiffe eine Besatzung von etwa 30 Mann. Die in Rosklide geborgene "Skuldelev 2" beförderte sogar vermutlich bis zu 70 Krieger eines Wikingerfürsten. Damit besaß dieses Kriegsschiff eine enorme Kampfkraft. Denn pro Ruderbank stand pro Krieger je ein Bogen mit 24 Pfeilen, ein Schild, ein Schwert, eine Breitaxt und ein Speer zur Verfügung. Man kann sich daher gut vorstellen, dass falls 150 Langschiffe randvoll mit je 30 bis 70 Wikinger-Krieger irgendwo an einer Küste auftauchten, dies als eine tatsächlich ernsthafte Bedrohung wahrgenommen wurde.
Mittlere Langschiffe mit 30 Mann Besatzung standen üblicherweise als Kriegsschiffe den Wikingern als Angriffsmittel zur Verfügung
Durch die einzigartige Bauweise, dem überlappen von flexiblen Planken und Verwendung besonders gewachsener Baumteile, konnten sich die Schiffe auch bei starken Seegang den Bewegungen des Meeres anpassen. Der Bau war ziemlich mühsam und langwierig. Aus einem ein Meter dicken Baumstamm ließen sich etwa 16 Planken herstellen. Um das Holz vor Verwitterung und Pilzbefall zu schützen verwendete man eine Art Teersschicht aus Birkenpech. Typisch für die Wikingerschiffe waren der unterschiedliche Stevenschmuck an der Vorder- und Rückseite der Boote. Meist zierte eine "Snekka" (schneckenförmige Spirale) oder ein "Dreki" (Drachenkopf) die Steven eines Langschiffes. Bisweilen waren die Steven aber auch nur schlicht verlängert oder verstärkt. Der Mast war im sogenannten Kielschwein, einem speziellen Balken verankert und konnte bei Bedarf umgelegt werden. Die Segel bestanden aus Wolle, Hanf oder Flachs. Viele würden jetzt sagen, dass Wolle sich doch bei Nässe vollsaugt und dann viel zu schwer wird. Doch auch hier hatten die Wikinger ein wahres Wunder vollbracht. Sie nahmen nicht irgendeine Wolle für die Segel, sondern die Wolle einer bestimmten Schafsrasse. Nämlich dem Spælsauer Schaf, eine alte norwegische Schafrasse, deren Unterfell komplett wasserabweisend war. Wer einen genaueren Blick in die Schiffsbautechniken der Wikinger sucht, dem kann ich das Vikingeskibsmuseet im dänischen Roskilde wärmstens empfehlen. Dort erfährt man alles über die Entstehung eines Langschiffes und kann sich zudem die fünf erhaltenen 1.000 Jahre alten Schiffswracks im Museum ansehen.
Im dänischen Roskilde werden Schiffe gefertigt wie sie einst vor 1.000 Jahren die Wikinger nutzten. Hier ein Schiff mit verlängerten Steven.
Kapitel 6
Leben und sterben für Walhalla
Beschäftigt man sich mit der Kultur der Wikingerepoche, dann kommt man nicht um deren religöses Weltbild herum. Aus heutiger Sicht erscheint uns vermutlich die damalige Weltanschauung der heidnischen Nordmänner sehr komplex und brutal. Zunächst muss man wissen, dass in der Germanischen Mythologie - dazu zählt auch die Nordische Mythologie - in neun Welten gefasst war. Diese neun Welten waren alle mit dem Weltenbaum Yggdrasil miteinander verbunden und unterteilte sich in Oberwelt, Mittelwelt und Unterwelt. Zur Oberwelt gehörte Asgard, der Sitz der Asengötter, Wanaheim, der Sitz der Wanen (älteres Göttergeschlecht) und Alfheim, dem Wohnsitz der Lichtalben und Halbgötter. Der Mittelwelt ordnete man Midgard, dass Reich der Menschen zu. Midgard und Asgard waren mit der Regenbogenbrücke "Bifröst" miteinander verbunden. Ebenfalls zählten Muspellheim, die Welt der Feuerriesen und Jötunheim, dass Reich der Riesen und Trolle zur Mittelwelt. Umgeben ist die Mittelwelt von Utgard, der räumlichen Außenwelt. Der Unterwelt gehörten Niflheim an, die Welt des ewigen Eises und das Zuhause vom Schlangendrachen "Nidhöggr", der die Toten peinigt und an Yggdrasils Wurzel nagt. Zwischen Nidhöggr und dem Adler, der zusammen mit dem Habicht "Vedrfölnir" auf der Spitze des Weltenbaumes tront, besteht ein ewig währender Twist den das Eichhörnchen "Ratatöskr" anfacht. Ebenfalls gehörte Svartalfheim zur Unterwelt. Es war die Heimat der Zwerge und Schwarzalben. Und letztlich gab es Hel, dass Reich der Toten. Dort kamen all jene hin, die nicht ehrenhaft auf dem Schlachtfeld gestorben waren oder gar zu Lebzeiten schlechtes getan hatten. Trotzdem betrachteten die Nordgermanen Hel zwar als einen grauen und tristen, aber sonst eher neutralen Ort. Anders als in der christlichen Glaubensvorstellung wo Menschen für ihre schlechten Taten in der Hölle ihre gerechte Strafe für ihr Fehlverhalten bekommen und schreckliche Qualen erleiden müssten. Interessanterweise gibt es aber unterschiedliche Aufteilungen der verschiedenen
Welten in der nordischen Mythologie. Ein möglicher Grund hierfür könnten die unterschiedlichen Vorstellungen in den Überlieferungen aus der Edda-Prosa sein. Jedenfalls glaubten die Wikinger an eine Fülle von Göttern, Mächten, Dämonen, Geistern und schrecklichen Ungeheuern. In der Vorstellung der Wikinger gab es aber auch die Trennung von Körper (Hülle) und dem Geist (Seele). Diese Vorstellung spielte eine wesentliche Rolle im Umgang mit den Toten. Daher nahm der Totenkult eine wichtige Rolle ein. An dieser Stelle kommt nun Walhall oder Walhalla ins Spiel. Die Gesellschaft der nordischen Völker war sehr von einem Kriegerkult geprägt. Demnach kamen nur die tapfersten Krieger, die mit der Waffe in der Hand und von Odin selbst auserwählt waren nach ihrem Tod nach Walhalla. Wobei in der nordischen "Heimskringla", einem literarischen Werk aus dem Jahr 1230, verkündete Odin, dass jeder nach Walhalla komme. Das altnordische Wort "Valhǫll" ist ein Zusammenschluss aus den Wörtern "valr" (der Gefallene) - was auch in Valvater (Odin, der Vater der Gefallenen) zu finden ist - und "hǫll" (Halle). Walhalla selbst war nach dem Glauben der Wikinger quasi eine Art Kriegerparadies in der Götterwelt Asgard. Dort, so die Vorstellung, stand eine mächtige Halle mit einem Dach aus Schildern getragen von Speeren auf dem die gewaltige Ziege Heidrun ruhte. Aus ihrem Euter floss in Strömen der Met direkt in die Trinkbecher der durstigen Krieger, die zusammen mit Odin tafelten und sich täglich im heldenhaften Kampf auf den Untergang der Götterwelt, dem "Ragnarök" (Endschicksal der Götter) vorbereiteten. Doch nicht der Allvater Odin selbst holte die gefallenen Krieger vom Schlachtfeld ab, sondern er schickte dafür seine Walküren nach Midgard, um die im Kampf getöteten Krieger abzuholen. Diese Vorstellung eines Kriegerparadies im Jenseits hegten sehr wahrscheinlich nur die Wikinger. Denn es gibt bisher keinen historischen Beleg dafür, das auch andere germanische Volksstämme einen ähnlichen Totenkult um Walhalla betrieben. Dieser Glaube könnte auch den unerschrockenen Kampfeseinsatz mit einer gewissen Todessehnsucht der Nordmänner in den Schlachten erklären. Im Götterlied der Grímnismál wird Walhalla in der 8. Strophe folgendermaßen erwähnt:
Glaðsheimr heitir inn fimmti,
þars in gullbjarta
Valhöll víð of þrumir;
en þar Hroftr kýss
hverjan dag
vápndauða vera.
Glaðsheimr (Glänzendes Heim) heißt der fünfte,
wo goldglänzend Valhöll weit sich erstreckt;
dort wählt sich Hropt (Odin) jeden Tag
waffentote Männer (Einherjer)
Nach dem täglichen Trainingskämpfen versammelten sich die ehrenhaft gefallenen Krieger, den sogenannten "Einherjer", zu einem großen Gelage mit Odin an der Tafel. Links und rechts von Odin gesellten sich seine beiden Wölfe "Geri" und "Freki", die ähnlich wie die beiden Raben "Hugin" und "Munin" Odin begleiteten. Gereicht wurde das niemals endende Fleisch des Ebers "Sæhrímnir" und der Met floss in Strömen. Alsdann schließlich Heimdall (der Wächter über die Götterwelt Asgard) in sein Horn blies und damit Ragnarök verkündete, rückten aus den 540 Hallentoren von Walhalla jeweils 800 Krieger zum letzten Gefecht aus. Trotz der gewaltigen Zahl von 432.000 Kriegern gelang es nicht in der schicksalhaften Endzeitschlacht die Götterwelt vor dem Untergang zu bewahren. Wer sich umfassender über den genauen Verlauf von Ragnarök informieren möchte, dem empfehle ich wärmstens diesen Link.Der Glaube, dass
weibliche Naturgeister, die Walküren in glänzenden Rüstungen (sog. Brünnen) auf wilden Rössern, im Auftrag von Göttervater Odin die Seelen der Einherjern nach Walhalla bringen, leitet sich vom Wort Valkyrien ab. Im altnordischen bedeutet "Valr" so viel wie gefallener Krieger und "kjósa" so viel wie auswählen. Im Grimnirlied der Edda sind insgesamt dreizehn Walküren namentlich erwähnt. Unabhängig von der Annahme nach dem heldenhaften Tod nach Walhalla zu kommen, praktizierten die Wikinger mit den sterblichen Überresten eines Verstorbenen recht unterschiedliche Begräbnissitten. Einige wurden beerdigt und andere verbrannt. Aber es gab auch Bootsgräber, in dem der Tote inklusive seiner gesamten Ausrüstung mit Waffen sowie tierischen und menschlichen Opferbeigaben bestattet wurde. Im Zuge der Christianisierung änderte sich jedoch nicht schlagartig alles und die heidnischen Nordmänner waren plötzlich zu gottesfürchtigen Männer geworden die Sonntags brav zur Messe in eine christliche Kirche gingen. Keineswegs! Viele ihrer alten Bräuche blieben auch weiterhin bestehen. Schmuckstücke wie etwa der Thorshammer Mjölnir trugen zusätzlich ein Kreuz und die alten nordischen Götter wurden trotz christlicher Taufe noch für lange Zeit weiter verehrt.
Kapitel 7
Christus vs Odin
Im Gegensatz zu den germanischen Volksstämmen in Mitteleuropa, kam der Norden von Europa erst relativ spät mit dem Christentum in Berührung. Island nahm den christlichen Glauben erst ab dem 11. Jahrhundert per Volksentscheid im Althing an. Zwar gab es immer wieder Versuche die nordischen Völker zu missionieren, was aber nicht immer von Erfolg gekrönt war. In einigen Regionen von Schweden und Finnland hielt sich der alte heidnische Glaube sogar bis weit ins 12. Jahrhundert. Man kann davon ausgehen, dass die Nordmänner im Christentum zunächst nichts bedrohliches sahen, außer dass ein weiterer Gott zu den ihrigen hinzukam. Einige skandinavische Händler nahmen auch den christlichen Glauben an, weil sie erkannten, dass man als christlicher Händler mehr geschäftliche Vorteile hatte, als ein heidnischer Händler.
Der einäugige Allvater Odin auf seinem Pferd Sleipnir in einer Abbildung in der isländischen Eddahandschrift von Ólafur Brynjúlfsson
Besonders der norwegische König Óláfr Tryggvason, der von 995 bis 1.000 herrschte, soll mit brutaler Gewalt gegen das Heidentum vorgegangen sein. Er ließ sich bereits um das Jahr 991 taufen und danach galt sein Leitmotiv der Christianisierung mit dem Schwert: "Taufe oder Tod". Trotzalledem habe er sich zu Weissagungen in heidnischer Manier mit Vogelbeinen als Orakel bedient, was ihm auch den Beinamen "Craccaben" (Krähenbein) eingebracht hat. Ungeachtet des Voranschreitens der Christianisierung fanden nach wie vor an bestimmten Kultstätten, aber auch in den großen Versammlungssälen der Siedlungen, Opferungen an Odin, Freyja und Thor statt. Im schwedischen Uppsala des nordgermanischen Svear-Stammes traf man sich alle neun Jahre zur Tagundnachtgleiche im Frühling, wo an neun Tagen jeweils neun männliche Opfer verschiedener Kreaturen geopfert wurden. Neben Hahn, Hund, Eber, Ochse und Hengst mussten auch Menschenopfer dargebracht werden. Die Leichen der Opfer hängte man anschließend in einen heiligen Hain. Nach wissenschaftlichen Erkenntnissen gab es bei den Wikingern keine Tempel für die Rituale, sondern sie fanden vermutlich überwiegend unter freiem Himmel statt. Doch neben dieser großen Opferung gab es auch noch verschiedene kleinere Opferfeste im Verlauf des Jahres. Die
geopferten Wesen sollten die Götter und Naturgeister besänftigen und für Fruchtbarkeit sowie reichen Wachstum sorgen. Der nordischen Wanengöttin Freyja opferte man gerne einen Hengst, weshalb vermutlich den ersten Christen in Skandinavien der Verzehr von Pferdefleisch verboten war. Doch nicht nur das. Pferde galten bei den Nordmännern als heilige Tiere. Der Allvater Odin ritt auf seinem achtbeinigen Ross Sleipnir und somit galt Pferdefleisch als geheiligtes Fleisch. Die geopferten Tiere wurden in der Regel nicht einfach der Verwesung überlassen, sondern man nutze das Fleisch anschließend für das Festmahl. Eins der wichtigsten Feste der heidnischen Germanenkulturen in Nordeuropa war das Julfest zur Wintersonnenwende. Der dritte norwegische König Håkon I. der Gute, ein Christ, soll demnach dass heidnische Julfest mit dem christlichen Weihnachtsfest vereint haben. Zumindest geht dies aus einer Skaldendichtung von Snorri Sturluson aus dem 13. Jahrhundert hervor. König Håkon I. hatte sich schon im Jahr 940 in England taufen lassen und erfolglos versucht Norwegen zu missionieren. Neben einer Vielzahl von germanischen Gottheiten glaubten die Wikinger aber auch an zahlreiche andere Wesen mit denen man sich gut stellen musste. In magischen Ritualen und mit Symbolen besänftigte man diese Wesen. Jedoch oblag die Zauberei eindeutig den weiblichen Fähigkeiten, obwohl sich Odin als wahrer Großmeister der Magie verstand. Männern benötigten keine Zauberei, sondern sie mussten das Schicksal herausfordern und ihm mit Mut und Kraft trotzen. Trotzdem nutzten viele männliche Wikinger kleine magische Rituale oder Symbole, um die Gunst der Götter zu erlangen. Im Zuge der Christianisierung löste sich jedoch immer mehr die heidnische Kultur in Skandinavien auf und Gotteshäuser entstanden direkt auf
heidnischen Kultstätten. Um den Übergang zum Christentum für die Nordmänner zu vereinfachen, übernahm man einfach einige Aspekte aus der alten Heidenkultur wie beispielsweise die Runensteine (mit christlichen Gebetsformeln verziert) oder wie bereits erwähnt wurden Schmuckstücke wie der Thorshammer zusätzlich mit einem Christenkreuz verziert. Davon ab stieg aber auch trotz aller Versuche die nordischen Germanenstämme zum Christentum zu bewegen mancherorts auf massiven Widerstand. So kam es zwischen 1066 und 1081 in Schweden zu blutigen Christenverfolgungen und die alten heidnischen Traditionen wurden nun erst recht als Protestreaktion weiter ausgeführt. Erst als der schwedische König Inge Stenkilsson, ein überzeugter Christ, im Jahr 1087 die Kultstätte in Alt-Uppsala zerstören ließ, war auch Schweden mit dem Schwert blutig christianisiert worden. Auch dort entstand auf dem heidnischen Kraftplatz eine christliche Kirche und Mitte des 12. Jahrhunderts entstand in Uppsala ein bischöfliches Bistum. Als letztes heidnisches Bollwerk erwiesen sich die Volksstämme der Fenni und Aestii (Samen) in Finnland. Etwas historisch umstritten bei den Historikern ist, ob es einen Kreuzzug des schwedischen Königs Erik Jedvardsson gegen die Finnen im 12. Jahrhundert gab. Begleitet soll ihn der Bischof Heinrich von Uppsala haben, der 1160 von heidnischen Finnen erschlagen worden sein soll.
Bischof Heinrich von Uppsala wird 1160 während eines Kreuzzuges gegen die heidnischen Finnen erschlagen.
Die Abkehr von der heidnischen Naturreligion in Skandinavien vollzog sich recht zäh und um das Wort Gottes den Wikingern näher zu bringen mussten die christlichen Priester anfangs ihre Messen entweder in den Wohnhäusern oder unter freiem Himmel an aufgestellten Stein- oder Holzkreuzen abhalten. Dies dürfte wohl auch der gravierendste Unterschied zwischen den beiden Glaubensformen sein. Die Distanz von Mensch und Gott wurde mit dem Christentum für die Menschen spürbar größer. Vorher konnte jeder Mensch auf seine ganz persönliche Weise mit den Göttern oder Naturgeistern in Verbindung treten. Nun war aber plötzlich ein Priester notwendig, der dass Wort Gottes aus lateinischen Schriften verkündete, einer Sprache, die nur einer erlesenen Kaste vorbehalten war. Der einfache Bauer oder Krieger konnte diese heiligen Schriften gar nicht lesen. Die Nordmänner waren stark mit der Natur und deren Kräften verbunden und sahen ihren Kosmos als etwas spirituell Ganzes. Diese Welt war von unsichtbaren Wesen, wie Riesen, Trollen, Zwergen sowie Kobolden, Tieren, Pflanzen und heiligen Bäumen beseelt, etwas was uns Menschen seit dem mehr und mehr verloren gegangen ist. Mit dem Ende des Heidentums ging aber noch etwas anderes für lange Zeit verloren. Die Wertigkeit der Frauen in der Religion nahm mit der Christianisierung rapide ab. Weibliche Gottheiten wie Freyja (Göttin der Fruchtbarkeit), Frigg (Göttin und Gemahlin von Odin), Holla (die Erdgöttin), Ostara (Frühjahrsgöttin) oder Skadi (Göttin des Winters und der Jagd) verschwanden von der religiösen Bildfläche. Diese Art des Glaubens stand im Einklang mit den natürlichen Zyklen von Enstehen, Leben und Vergehen. Quasi zwei Kreise, der Lebenskreis und der Jahreskreis wurden je nach Region in unterschiedlichen Bräuchen ein feierlicher Rahmen gegeben. Diese Kombination aus der Faszination der grandiosen skandinavischen Landschaften und die ausgeprägte spirituelle Verbindung mit der Natur in der Wikingerkultur mit ihren Bräuchen spricht mich enorm stark an. Dies ist auch der Grund warum ich mich so intensiv damit beschäftige.
Kapitel 8
Die Magie der Runen
Obgleich in der Zeit der Wikinger schriftliche Überlieferungen bereits weit verbreitet waren, pflegten die Nordmänner eher eine mündliche Form der Überlieferung. Viele Geschichten trugen sogenannte Skalden in Dichtungen vor. So zählen die Skaldendichtungen und Sagas (altnord. "segja" = sagen) sowie die Lieder- und Prosa-Edda streng genommen zu den wichtigsten historischen schriftlichen Quellen aus dem mittelalterlichen Skandinavien. Trotzdem ist die Edda keine zuverlässige Quelle für authentische heidnische Texte der Nordgermanen. Denn sie wurde um 1200 n Chr. nach der Christianisierung Skandinaviens verfasst und enthält daher einige christliche Adaptionen. Die von den nordgermanischen Völkern verwendeten Runen dienten vorrangig zu Manifestation von esoterischen Lehren und weniger um etwas in Schriftform für die Nachwelt festzuhalten. Daher dienten Runen nicht als Schrift im klassischen Sinne. Viel mehr waren Runen magische Zeichen mit bestimmten Kräften. Auch das Wissen über diese Kräfte überlieferte man lange Zeit ausschließlich mündlich. Daher bedeutet das Wort Rune auch nicht Buchstabe sondern Geheimnis. Jede Rune lässt sich in drei Elemente aufteilen. Einem bestimmten Ton oder Laut, einer Form (Stab) und der vollendeten Rune, der verborgenen Lehre (BeDeutung) in ihr selbst. Das Aufstellen von Runensteinen oder das Beschriften von einigen Schwertern mit Runen diente lediglich als kurze Bekanntmachung. Längere Texte bzw. Bücher wie etwa die Snorra-Edda (Prosa-Edda), das Landnámabók (Landnahmebuch über die Besiedlung Islands) oder das Íslendingabók (Isländerbuch) entstanden erst nach der Christianisierung und somit nach der eigentlichen Wikingerzeit. Außerdem beherrschte nicht jedermann das Handwerk Runen zu meißeln oder in anderer Form darzustellen. So kann man auch davon ausgehen, dass solche Runensteine nur für Menschen eines höheren Ranges angefertigt wurden, weil sich die Handwerker diese Inschriften bezahlen ließen. Nicht selten berichten eben jene Runensteine auch von den heldenhaften Taten und den gewaltsamen Umständen des Todes eines Mitglieds aus der gesellschaftlichen Mitte, um ihn auch nach seinem Tod weiter zu ehren. Allein in Skandinavien sind ca. 3.200 Runensteine bekannt. Davon sind rund zehn Prozent Frauen gewidmet, was den hohen Stellenwert der Frauen in dieser Kultur untermauert. Auch hierzulande gab es Runensteine, die aber aber allesamt im Rahmen der Verbreitung des Christentums entweder entfernt oder in den meisten Fällen komplett zerstört wurden. Die Übersetzungen der Runenstein-Inschriften sind nicht immer einfach. Das jüngere Futhark, welches die Nordgermanen verwendeten kannte nur 16 Runen statt der sonst üblichen 24 Runen aus dem älteren Futhark. Die wenige Anzahl an Runen reichte nicht aus, um sämtliche Laute der altnordischen Sprache zu erfassen.
Einige Runen besaßen daher mehrfache Lautmöglichkeiten und aufgrund einer fehlenden Schreibnorm konnte es auch geschehen, dass gleiche Wörter völlig unterschiedlich mit Runen dargestellt wurden. Zudem erschwerte noch die unterschiedliche Dialektik in der altnordischen Sprache eine einheitliche Übersetzung. Im mittelalterlichen Skandinavien nutzte man das Norrønt (Altnordisch oder Old Norse). Diese Sprache war von Vinland (Nordamerika) bis in die Wolgagebiete zu den Kiewer Rus verbreitet und unterteilte sich wiederum je nach Region in unterschiedliche Dialekte. In Dänemark und Schweden sprach man üblicherweise den Oldeast Norse Dialekt und in Norwegen den Oldvest Norse Dialekt sowie auf Gotland und den baltischen Inseln den Old Gutnish Dialekt. Diese unterschiedlichen Dialekte beeinflussten zusätzlich die Darstellung von Wörtern mit Runen. Auch die Zusammenfassung von zwei aufeinanderfolgenden gleichen Konsonanten zu einem macht eine Übersetzung extrem schwierig wenn nicht gar unmöglich. Denn selbst Runenexperten kommen nicht selten bei Übersetzungen eines Runentextes zu jeweils völlig unterschiedlichen Aussagen und niemand kann mit Gewissheit sagen, welche Übersetzung nun die richtige ist. Ebenso gab es keine klaren Textzeilen. Oft integrierte man die Runen in den geschwungenen Körper einer aufgemalten Schlange oder Drachen. Mitunter kam es auch vor, dass sich die damaligen Künstler in der Länge der Inschrift verschätzten und dann quetschte man die restlichen Runen noch irgendwo dazwischen. Das am wohl bekannteste Runenset ist das ältere FUTHARK. Der Name FUTHARK ergibt sich aus dem Zusammenschluss der Anfangslaute der ersten sechs Runen: Fehu, Uruz, Thurisaz, Ansuz, Raidho und Kenaz. Die ältesten Runenfunde gehen zurück bis in die Anfänge des 1. Jahrhunderts n. Chr. Wobei niemand so ganz genau sagen kann, ab wann dass runische System zum ersten Mal seine Anwendung fand. Einige Runengelehrte gehen davon aus, dass vermutlich das Wissen um die Runen bereits in der Zeit um 200 v. Chr. schon bekannt war.
Runen sind aber mehr als nur irgendwelche Zeichen unserer germanischen Vorfahren. Sie tragen das uralte Wissen um den Lebenszyklus in sich und geben sie mit ihren heilsamen Schwingungen (Resonanzen) an uns ab. Das kann man mit dem heutigen Zeitgeist abfällig als esoterischen Unfug bewerten. Doch aus eigener Erfahrung in der Arbeit mit Runen bin ich mittlerweile davon überzeugt, dass man die Kraft der Runen damit respektlos in die Ecke des Absurden drängt. Sicherlich mag es aber auch damit zusammenhängen welchen persönlichen Zugang ein jeder zu den spirituellen Kräften der Natur hat. Das ist gewiss von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich ausgeprägt. Um ihre Kräfte anzunehmen muss man zunächst auch dafür innerlich bereit sein. Trägt man Zweifel an ihrer wirkenden Kraft, dann sind die spirituellen Antennen für sie nicht zugänglich und nichts wird geschehen. Die Verbreitung von Runen beschränkt sich im Übrigen nicht nur auf den germanischen Einflussbereich. So fand man auch Orchon-Runen - auch als Turk-Runen bekannt - in Zentralasien. Unsere Ahnen hatten eine sehr tiefe Verbindung zum Kreislauf des Lebens, der Schöpfung an sich und zur Natur. Jede einzelne Rune repräsentiert einen Abschnitt in diesem Naturzyklus bzw. eine bestimmte Kraft und deren Einflüsse auf Neubeginn, Wachstum, Ernte, Tod und wieder der Neubeginn. In der Kultur der Wikinger war man sich darüber bewusst, dass ein
natürliches Gleichgewicht über das Nehmen und Geben gibt und wenn vonnöten es einen Ausgleich erfordert. Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass die Rune Gebo X symbolisch für diese natürliche Balance steht und auch tatsächlich jene Rune ist, die einem am häufigsten als Rune in der Natur begegnet. Die Wikinger nutzten die Runen bei feierlichen Anlässen wie zum Beispiel bei Hochzeiten, Geburten, Ehrungen oder auch vor einer wichtigen Schlacht oder auch bei Krankheiten, um deren Eigenschaften zu empfangen. Dafür nutzte man Runensteine, ritzte Runen in Knochen oder auf Holzstäbe. Wie man aus der Quantenphysik weiß, folgt immer die Energie der Aufmerksamkeit. Deswegen wurden durch die Jahrhunderte lange intensive Arbeit mit der Energie der Runen von unseren Vorfahren, diese immer weiter aufgeladen und haben bis zum heutigen Tag nicht an ihrer Wirksamkeit verloren. Das Schicksal ganzer Sippen steuerten die Runenzeichen. Ihre Schwingungen - ihr uraltes Wissen - über den Schöpfungskreislauf in der Natur ist es auch, die mich in ihren Bann gezogen haben.
Das jüngere Futhark besteht nur aus 16 Runen, dass sich ab 800 n. Chr. in Skandinavien etablierte. Von oben nach unten beginnend mit dem dänischen, norwegischen und schwedischen Futhark, den sogenannten Rök-Runes. Es zeigt die Unterschiede in der Form einiger Runen und deren Phonetik bzw. werden auch die Zusammenfassungen mit dem älteren Futhark deutlich. (Copyrights: Simon Ager via Omniglot)
Wer in Runenschrift etwas schreiben möchte, dem empfehle ich dies nicht einfach 1:1 von der Muttersprache in Runenschrift zu tun. Dies erscheint mir persönlich in der Ausdruckskraft eines bestimmten Wortes oder gar eines kompletten Satzes nicht authentisch genug und deren Magie geht verloren. Am besten eignet sich für Übersetzungsvorhaben nach meiner Auffassung daher etwas in Norrønt (Altnordisch) oder in der altnordischen Sprache noch sehr ähnlichen isländischen Sprache. So sind es im Übrigen auch die Isländer, die heute noch am ehesten in der Lage wären einen waschechten Wikinger zu verstehen. Als Übersetzungsbeispiel dient dieser altnordische Text in Runenschrift aus dem dänischen jüngeren Futhark: "(Níu man ek heima, níu íviði), mjötvið mœran fyr mold neðan" (ᚾᛁᚢ:ᛘᛅᚾ:ᛅᚴ:ᚼᛅᛁᛘᛅ:ᚾᛁᚢ:ᛁᚢᛁᚦᛁ:). Der Anschaulichkeit halber ist nur der erste Satz in Klammern übersetzt). Der komplette Satz bedeutet so viel wie; "Neun Welten ich kannte, die neun im Baum. Mit mächtigen Wurzeln unter seiner selbst. Der Ausspruch stammt von Odin, der Bezug auf die neun Welten in der nordgermanischen Weltanschauung nimmt und die neun Tage beziehen sich auf die neun Tage und Nächte, die Odin sich selbstopfernd in den Weltenbaum Yggdrasil hängte auf der Suche nach der unerschöpflichen Weisheit der Runen. Interessant ist jedoch, dass nach nordisch-mythisch-mystischer Regel neun Nächte stets als Monate zu betrachten sind. Was der Zeit einer Schwangerschaft bis zur Geburt entspricht. Das Thema Runen ist faszinierend, aber zugleich auch durchaus sehr komplex. Daher werde ich zu einem späteren Zeitpunkt diese Thematik nochmal separat aufgreifen und etwas genauer in einem Runen-Blog-Spezial beleuchten.
Kapitel 9
Der Mythos Schildmaiden
Die Schildmaid Lagertha (mitte) aus der Netflixserie "Vikings"
Jeder der die kanadisch-irische Netflix-Serie "Vikings" kennt, der kennt und bewundert die nordischen Kriegerinnen, die gemeinsam mit den Männern mit dem Schwert in der Hand und martialischen Kriegsbemalungen heldenhaft in die Schlacht ziehen. Eine der herausragenden Charakter aus jener Serie ist die erste Ehefrau des Hauptprotagonisten Ragnar Lodbrok, die Schildmaid Lagertha. Sie verkörpert eine emanzipierte Frau, die mit Schild und Schwert vor keinem männlichen Krieger Furcht zeigt und sich große Anerkennung durch ihren mutigen Einsatz verschafft. Sie hat in den vergangenen Jahren einen regelrechten Schildmaid-Boom ausgelöst und in den sozialen Netzwerken gibt es mittlerweile unzählige zumeist junge Frauen, die diesen kämpferischen Typ Frau mit viel Enthusiasmus nacheifern. Doch gab es sie tatsächlich diese tapferen Kriegerinnen oder ist es nur ein Mythos? Bis noch vor wenigen Jahrzehnten ging man in der Forschung davon aus, dass die Figur der Schildmaid eher den Legenden zugeschrieben werden konnte. Zwar gab es in mittelalterlichen Chroniken - besonders in den Wikingersagas von Snorri Sturluson (1179 - 1241) und in der dänischen Saxo Grammaticus/Gesta Danorum (1160 - 1220) - immer wieder auch Berichte über weibliche Kriegerinnen, aber handfeste Beweise sucht man vergebens. Bei Ausgrabungen stießen Forscher gelegentlich auch auf Gräber mit Frauenleichen, die samt Waffen beigesetzt waren. Dies führte zu Verwirrung und Spekulationen. Bis dahin glaubte man, dass die Wikinger patriarchisch organisiert waren. Jedoch kam man eher zu der Auffassung, dass jene Frauen mit Waffen nicht zwangsläufig auch Kriegerinnen sein müssten. Viel mehr ging man davon aus, dass die Ehrerbietung für ihren gefallenen Mann auf sie übertragen wurde. In der nordgermanischen Kultur war dies so üblich und daher erscheint diese Theorie recht plausibel. Denn offensichtliche Kampfspuren trugen die Frauenskelette nicht, was aber bei den männlichen Leichen oft der Fall war. Allerdings sei an dieser Stelle auch nochmal darauf hingewiesen, dass gut erhaltene Knochenfunde aus der Wikingerzeit nicht so häufig zu finden sind, da ein nicht unerheblicher Teil der Verstorbenen in heidnischem Brauchtum eingeäschert wurden. Doch reicht dies schon aus, um die Figur der Schildmaid (isländisch "skjaldmær") endgültig zu entmystifizieren? Wohl kaum! Denn möglicherweise gab es sie tatsächlich, wenn auch gewiss nicht in solch großer Zahl wie uns die TV-Serie Vikings im Rahmen der Unterhaltung vermitteln möchte. Richten wir unseren Blick nach Schweden, nach Birka. Einer beschaulichen Insel im Mälarensee in Zentralschweden. Seit September 2017 tritt dort eine sensationelle Grabentdeckung mit starken Fakten für den "?Beweis?" der Existenz der legendären und sehr kontrovers diskutierten Schildmaiden an. Warum ich Beweis so herausgestellt habe, erkläre ich später im Text. Birka war im 8 - 10 Jahrhundert ein blühender Handelsplatz. Dort lebten zu dieser Zeit rund 1.000 Wikinger und es gibt dort rund 3.000 Grabstätten. Damit ist dieser Friedhof einer der größten aus dieser Epoche.
Bereits im Jahr 1878 entdeckten Archäologen dort ein Grab mit sehr interessanten Grabbeigaben. Man fand ein Skelett mit einem Schwert, einer Streitaxt, panzerbrechenden Pfeile, einem Speer, Sax-Messer, zwei Schilde und die Überreste von einem Hengst und einer Stute. Zudem fanden die Forscher auch noch Spielsteine für ein Strategiespiel, die ein gewisses taktisches Verständnis voraussetzten. Als man das Grab damals fand wurde das Geschlecht eines Mannes nie in Frage gestellt. Erst als 2017 eine DNA-Probe plötzlich aber offenbarte, dieser Krieger war kein Mann, sondern tatsächlich eine gut 30 Jahre alte Frau, kam wieder frischer Wind in die Debatte um die Existenz der Schildmaiden. Alle Indizien scheinen dafür ausreichend zu sein, um den Beweis eines weiblichen Kriegers zu untermauern. Reichen diese Funde aus dem Grab Bj581 in Birka aber tatsächlich schon aus? Jetzt kommt das große ABER! Mir obliegt es nicht diesen außergewöhnlichen Fund zu bewerten, jedoch polarisiert die Fachschaft zum Thema Wikinger dieser Skelettfund in zwei Lager. Die Argumente, die gegen die Kriegerinnen-Theorie sprechen sollten der Fairness ebenso Gehör finden wie die, die dafür sprechen. Es gibt darunter - und jetzt komme ich wieder zurück zu dem herausgestellten "Beweis" - einige sehr gewichtige kritische Stimmen, die anzweifeln, dass diese Indizien bereits ausreichen, um das bisher eher mythologische Phänomen der Walküren und Schildmaiden mit harten Fakten zu entzaubern. Einer der härtesten Kritiker ist niemand geringeres als die renommierte britische Professorin of Viking Studies Judith Jesch mit Expertisen in Oldnorse und Runologie der Universität von Nottingham/UK. Wer sich ihre Kritikpunkte genauer ansehen möchte, den empfehle ich diesen LINK
Das Grab Bj581 in Birka als Illustration: Copyrihght Þórhallur Þráinsson / Neil Price
Darüber hinaus gab es im Frühjahr 2019 zum Grab Bj581 in Birka weitere wissenschaftliche Veröffentlichungen, die eine weitere hitzige Debatte um die grundsätzliche Frage über die Existenz von weiblichen Kriegern der Wikinger nach sich zog. Historisch betrachtet gibt es einige faktisch belegte Beispiele von weiblichen Kriegern oder Heerführerinnen. Jedoch haben die wenigsten von ihnen tatsächlich aktiv an Kämpfen teilgenommen. Der Umstand, dass zwar die Genetik die sterblichen Überreste im Grab Bj581 unanfechtbar eine Frau war, heißt aber nicht zwangsläufig, dass sie tatsächlich auch eine Kriegerin gewesen sein muss. Zumal wie bereits erwähnt ihre Knochen allesamt keinerlei Verletzungen durch Waffeneinwirkung aufwiesen. Anhänger der Kriegerinnen-These verweisen jedoch ausschließlich auf die Waffenfunde in dem Grab als eindeutigen Beweis. Die lebendigen Geschichten über Schildmaiden in den Sagas taugen zudem ebenfalls kaum als unanfechtbarer Beweis über deren Existenz. Die Kritiker (darunter viele Frauen) legen mit harten Argumenten nach und die lassen sich nicht so einfach von der Hand weisen. Denn Waffenfunde in einem Grab sagen in der Regel noch nicht sonderlich viel über den Bestatteten aus. Es kann zum Beispiel auch ein Händler mit Schild und Schwert bestattet werden, der aber zu seinen Lebzeiten nie ein Schwert geführt hat und schon gar nicht an einer Schlacht teilgenommen hat. Es gibt darüber hinaus auch zahlreiche Kinder- oder Pferdegräber mit Waffenbeilagen. Allesamt sind sie eher ein Ausdruck des Status bzw. Wohlstands und eine Ehrerbietung an den Toten. Nichtsdestotrotz liefern die heldenhaften
Erzählungen über Schildmaiden im Kampfgetümmel immer wieder Stoff in unserem Zeitalter der Emanzipation. So auch die Schlacht von Bråvalla im schwedischen Östergötland. Laut einigen Sagas, darunter in der Hervarar-Saga, kam es zwischen 715 - 740 n. Chr. zu einer Schlacht zwischen König Harald Hildetand (Kriegszahn), einem König der Dänen und Svear und seinem Neffen Sigurd Hring. Aufseiten der Dänen sollen laut der Saga etwa 300 Schildmaiden gekämpft haben. Ob jedoch diese Schlacht tatsächlich stattfand ist bis heute historisch stark umstritten. Eine weitere interessante weibliche Persönlichkeit ist Aud the Deep-Minded (altnord.: Auðr djúpúðga Ketilsdóttir). Sie war die zweite Tochter von Ketill Flatnose "Flatnefr" (ebenfalls ein Charakter aus der Netflix-Serie Vikings). Aud heiratete Oleif "Olaf den Weißen", einem König in Dublin/Irland, mit dem sie einen einen Sohn, "Thorstein der Rote" hatte. Zwischenzeitlich kam es zu heftigen Erbstreitigkeiten zwischen dem Clan von Aud und dem Clan ihres Mannes Olaf, so dass sie um ihrer eigenen Sicherheit besorgt gezwungen war Irland zu verlassen. Olaf fiel wenig später während eines Kampfes. Auch ihr Sohn Thorstein wurde nach einem Verrat seiner eigenen Männer in Schottland getötet. Nach dem sie von dem Tod ihre Sohnes Thorstein erfuhr, ließ sie heimlich im Wald ein Schiff bauen, mit dem sie und ungefähr zwanzig ihrer treusten Gefolgsleute (darunter auch Sklaven) Richtung Orkney-Islands aufbrach. Dort verheiratete Aud eine Enkelin mit einem Jarl, um das Familienerbe in Schottland zu festigen. Gleiches tat sie auf den Färöer mit einer anderen Tochter ihres getöteten Sohnes Thorstein. Danach setzten sie ihre Fahrt in Richtung Island weiter fort.
Sie erreichten bei Breiðafjörður eine Bucht auf Island wo sie ihre Sklaven die Freiheit schenkte. Sie gab Ihnen auch Land und als getaufte Christin verbreitete sie in Island das Christentum. An vielen Orten stellte sie Kreuze auf Hügel - sogenannte Krosshólar - auf, um diese Plätze für ihre Gebete herzurichten. Zudem heiligte sie diesen Boden als nicht heidnische Erde, da sie keinesfalls nach ihrem Tod auf heidnischen Grund beigesetzt werden wollte. Dies alles versuchte sie in einem Land, welches erst gut ein Jahrhundert später das Christentum langsam akzeptierte. Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass nach ihrem Tod alle ihre Nachkommen sich wieder dem Heidentum zuwendeten und ihre Krosshólar als Opferorte für ihre heidnischen Riten dienten. Als letztes hinterlässt uns die Biologie noch etwas zum Nachdenken. Bedenkt man, dass der männliche Wikinger im Durchschnitt nicht größer als 170 cm (175 cm war dann schon ein Hüne!) und Frauen im Schnitt gut 12 cm kleiner sowie ca. 10 - 20 Kilogramm leichter waren als ein Mann, dann ergeben sich daraus schon bedingt im brutalen Zweikampf mit Schild und Schwert signifikante Nachteile für die Frau. Jeder der in der Re-enactment-Szene aktiv ist, weiß wovon ich Rede. Ein Beispiel: Ein etwa 85 kg schwerer Krieger im Kettenhemd und Waffen bringt locker zwei Zentner Kampfgewicht auf die Waage! Wenn diese Masse auf ein menschliches Hindernis mit dem Schild voran prallt, das 25 kg leichter ist, kann man sich vorstellen wie das ausgeht. Ebenso dürften auch die körperlichen Unterschiede zwischen Frau und Mann, wie beispielsweise größeres Herz und mehr Lungenkapazität (bessere Sauerstoffversorgung) sowie mehr Muskelmasse beim Mann, sich von den der Frauen mindestens genauso unterschieden haben wie es heute noch der Fall ist. Über diesen biologischen Unterschied waren sich die Menschen von früher bestimmt bewusst und so erscheint es eigentlich schon fast logisch, dass Frauen bei den anstrengenden Zweikämpfen schnell an ihre Grenzen kommen würden. Das heißt natürlich nicht, dass Frauen per se körperlich schwächer sind als Männer! Es gibt auch unglaublich schwache Männer, also bitte nicht falsch verstehen. Dies sind biologische Fakten und keine subjektive Meinung von mir als Mann. Abschließend zu diesem sehr spannenden Kapitel noch ein paar Gedanken. Ohne Zweifel bin ich davon überzeugt, dass Frauen in der Wikingerzeit mehr Rechte und Freiheiten besaßen als ihre christlichen Zeitgenossinnen. Sie konnten sich scheiden lassen, durften eigenes Vermögen aufbauen, erben und sogar im Thing teilnehmen, wenn sie einen männlichen Fürsprecher hatten. Sie waren die Herrinnen über das Haus und Hof und übernahmen die volle Ehrerbietung ihrer gefallenen oder verstorbenen Ehemänner. Das insbesondere im gendergerechten Schweden der modernen Zeitrechnung die Meldung einer weiblichen Kriegerin in den Medien unglaublich viel Zuspruch fand, überrascht mich daher nicht. Jedoch jenseits jeglicher emanzipierten Wunschvorstellung darf weder Mann noch Frau die Augen vor berichtigten Fragen bzw. Fakten verschließen. Dies wäre töricht!
Kapitel 9
Epilog und wie geht es weiter?
Als ich vor einigen Wochen diesen Blog-Beitrag anfing, dachte ich nicht, dass er so umfassend werden würde. Das Thema Wikinger ist ein (Met)Fass ohne Boden und je mehr ich mich damit beschäftige, um so mehr gibt es auch zu berichten. Während ich diese Zeilen schreiben hämmern bereits weitere Gedanken in meinem Kopf und wollen mitgeteilt werden. Doch nun ist es an der Zeit dieses Werk als "vorerst" getan abzuschließen. Es wird sicher Ergänzungen und auch weitere Kapitel zu diesem unerschöpflichen Thema geben. Da bin ich mir sicher! Auch bin ich sehr über die Reaktionen auf meinen Impuls gespannt. Denn eines habe ich festgestellt: Es gibt ein riesengroßes Interesse zum Thema und dieses ist nicht nur auf die Serie Vikings und Last Kingdom etc. zurückzuführen! Insbesondere ist auffällig wie viele Menschen es nach dem alten Wissen um die Runen dürstet und plötzlich anfangen sich damit auseinanderzusetzen. Dabei wird man zwangsläufig um ein anderes Thema nicht herum kommen können, ohne einen genaueren Blick auf unser "geschaffenes" Weltbild zu werfen. Nämlich der gewaltsamen Verbreitung der Weltreligion des Christentums durch den geistlichen Stand des Klerus. Jener hat sich der Worte eines jüdischen Wanderpredigers Jesus von Nazareth bemächtigt und sein Aufruf zur Nächstenliebe und Achtung jeglicher Geschöpfe in eigenmächtiger Willkür missbraucht, um massenhaft Menschen auf grausamste Art und Weise zu töten und zu foltern. Um es auf den Punkt zu bringen. Nicht selten rühmt sich noch heute die Kirche - egal, ob nun katholisch oder evangelisch - damit, sie sei so barmherzig und tolerant zu den Menschen dieser Erde. Das Heidentum - die Kultur unserer Ahnen - sei von Barbarei und Menschenverachtung geprägt und erst durch die Christianisierung habe man endlich den Menschen die Menschlichkeit in deren Herzen gelegt. Doch war/ist das tatsächlich so?
Die Grausamkeiten, die man auch immer noch gerne den heidnischen Wikingern anheften möchte, sind gemessen an den Verbrechen der christlichen Wertegemeinschaft unter dem Deckmantel der Kirche ein laues Lüftchen an einem Sommerabend. Zählt man die Opfer, die man aus den zugänglichen Chroniken relativ gut entnehmen kann, dann hat die Kirche angefangen mit der Verfolgung und Vernichtung der Urchristen (Markioniten, Montanisten, Manichäer, Arianer, Paulikaner, Bogumilen, Katharer und Waldenser), Auslöschung des Heidentums, die Kreuzzüge, die heilige römisch-katholische Inquisition, der Genozid an den indigenen Völkern weltweit und in ganz Amerika (Inkas, Mayas, Azteken und die nordamerikanischen Indianerstämme), Sklaverei, Hexenverfolgungen und der sexuelle Missbrauch von Kindern, nicht weniger als 250 Millionen Menschen das Leben gekostet.
Es geht hier auch nicht um das Aufwiegen wer mehr Menschenleben auf dem Gewissen hat; die Christen oder die Heiden? Aber setzt man sich wirklich kritisch mit dieser Thematik auseinander, dann hat die christliche Kirche eine regelrechte Industrie zur Vernichtung von Menschenleben erschaffen. Eigentlich hat die Kirche exakt das Bild der Hölle auf Erden geschaffen, wovor sie uns immer eindringlich bei Missachtung des fünften Gebotes gewarnt hat; Du sollst nicht töten! Schaut man sich dies an, dann erscheint dieses Gebot geradezu als ein Hohn. Auch die Tatsache, dass es vonseiten der Kirche bisher kein einziges glaubhaftes Wort einer Schuldanerkennung oder gar Sühne erfolgt ist, macht in meinen Augen die Glaubhaftigkeit der christlichen Ethik der Kirche sehr fragwürdig, wenn nicht gar komplett obsolet. Denn von dem, was einst Jesus von Nazareth während seiner Bergpredigt den Menschen verkündete, ist zumindest nach meiner Auffassung nicht viel in der heutigen Zeit übrig geblieben. So drängt sich mir immer mehr die dringende Frage auf, ob der heidnische Glaube, mit der Verehrung mehrerer Gottheiten, den jeder in seiner eigenen Form huldigen konnte, der Glaube an magische Wesen und der Beseeltheit der Tiere und Pflanzen sowie ein Leben im spirituellen Einklang mit der Natur und die Wertschätzung der Frau in ihrer natürlichen Rolle so unmenschlich sein kann? Dies darf jeder mal für sich selbst hinterfragen. Als kleinen Einsteigertipp empfehle ich zudem auch die brillante mehrteilige Serie "Die Blutspur der Kirche" auf YouTube anzusehen: Hier der Link
Euer Clemens Niesner
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